Meine Mitschüler, wir müssen reden

Rede zur Lage der lateinischen Sprache

Das Thema: Latein

Latein? Brauchen wir es überhaupt? Man glaubt doch eigentlich es sei mit den Römern untergangen und Tote lässt man bekanntlich ruhen, aber ja, man braucht sie.

Mit dem Beginn der modernen Archäologie wurden die Relikte dieser längst vergessenen Sprache wieder ausgegraben und ausgewertet. Und ehe man sich versah, fand man sie in den Schulbüchern schon wieder.

Aber wenn man doch gleich beim Untergang des römischen Reiches bleiben will, sind seine kulturellen Überreste bis heute spürbar. Man mag es zwar kaum glauben, aber in gewisser Weise ähnelt Latein den Russen. Weder Seuchen noch Naturkatastrophen noch Kriege können es in die Knie zwingen.

Die Werbung hat sich ebenfalls von der lateinischen Sprache anstecken lassen, an der einen Wand wird das „Horch“-Auto angepriesen, an der anderen schmiert man sich mit der „Lippe“ die Lippen ein oder die Göttin der Jagd hilft gegen Fieber. Wir wandeln z. B. auf römischen Straßen und die romanischen Sprachen entwickelten sich aus der Ursprache Europas. Die Römer haben nicht nur die ersten Abwassersysteme gebaut, sondern haben die Natur generell unterworfen, indem sie Monumente errichteten, die bis heute dem Wetter trotzen, im Gegensatz zu heutigen architektonischen Meisterwerken, welche nach 5 Jahren einsturzgefährdet sind.

Als man dem einfachen Volk die lateinische Sprache in die Schulbücher brannte, kehrte ein Stück verlorengegangene Kultur in die Köpfe der Menschen zurück. Anfangs muss die Freude der Schüler keine Grenzen gekannt haben, mehr Schularbeiten, mehr Tests, mehr Lernen, also alles, was das Schülerherz begehrt. Wenn dieser Umstand auch etwas sehr dramatisch in meiner kleinen kurzen Ansprache rüberkommen mag, bin ich doch sehr froh einer der wenigen Glücklichen sein zu dürfen, die seit Jahren Latein lernen dürfen.

Man schaue in die Wirtshäuser und dem größten Affentheater unseres Landes, besser bekannt als das Parlament. Hört man gewissen Personen auf der Straße oder in den vorhin genannten Etablissements genauer zu, so stellt es einem die capillos auf und man erkennt einen Fremdwortmangel, der einem gebildeten Mitteleuropäer das Gefühl von 23 Dolchstichen durch die Toga vermittelt. Caesar kann Nero, dem begabten Musiker, ein Lied davon singen. Nero würde darauf brennen.

Und um dieser Entwicklung in einer Welt voller Fake News und Populismus entgegenzuwirken, muss Latein weiterhin künstlich am Leben gehalten werden. Wir lernen durch Latein die Antike und deren Mythen kennen und erweitern unsere Allgemeinbildung.
Ich möchte noch ein anderes Beispiel bringen: Stellt euch vor, euer Arzt hätte nie Latein gelernt. Ihr würdet verstehen, was er sagt, und der Spaß an diesem Beruf wäre völlig dahin. Aus einem anderen Blickwinkel allerdings betrachtet, würde ein ziemliches Chaos entstehen, wenn sich jeder Wissenschaftler in seiner Landessprache international verständigen müsste.

Als Schlussplädoyer der Verteidigung kann man sagen, dass Latein seinen Status als lebendige Sprache vielleicht eingebüßt, sich aber dennoch in der Vergangenheit sowie in der Gegenwart hervorragend gehalten hat. Es geht soweit, dass wir die Sprache sogar noch heute in alltäglichen Situationen wiederfinden: Von Fremdwörtern bis zum gewöhnlichen Vokabular romanischer Sprachen zieht sich Latein wie der rote Faden Ariadnes durch. Quod erat demonstrandum.

Verfasser:Manuel Schöngrundner